[Dieser Text wurde ursprünglich
1999 in der Akut, dem Bonner
Uni-Magazin, veröffentlich]
Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit ist so alt wie die menschliche
Überlieferung selbst. Schon das Gilgamesch-Epos, die älteste
Dichtung der Menschheit, erzählt, wie der sumerische König
Gilgamesch in tiefer Trauer über den Tod seines besten Freundes
auszieht, um ein Kraut zu suchen, dessen Verzehr die Unsterblichkeit
verleiht. Die Vorstellung einer unsterblichen Seele zieht sich durch
alle großen Religionen der Welt, ob nun Himmel und Hölle im
Christentum oder die Reinkarnation im Hinduismus. Aber wer sich dazu
hinreißen lässt, von der Unsterblichkeit in dieser Welt zu
träumen, wird kaum mit weniger Spott überschüttet, als
wenn er behauptete, er sei von einem Ufo entführt worden.
Das führt uns zu einem merkwürdigen Widerspruch: Während
ewiges Leben als Versprechen einer Religion vollkommen akzeptabel ist,
gilt der Wunsch nach Unsterblichkeit in dieser Welt als kindisch und
vermessen. Ohne einen großen psychologischen Anspruch erheben zu
wollen: Es scheint uns, dass es sich hierbei um eine typische
Verdrängungsreaktion handelt, nach dem Motto: was du sowieso nicht
kriegen kannst, das begehre erst gar nicht (das ist zumindest gut
für die psychische Stabilität). Historisch gesehen war das
nicht immer so, und viele reiche Männer haben ganze Vermögen
an Quacksalber verloren, deren impotente Wundermittel höchstens
auf dem Papier das Leben verlängerten. Und so dient diese
Verdrängung, das gesellschaftliche Tabu, das den Wunsch nach
irdischer Unsterblichkeit umgibt, wohl vor allem als Schutz davor,
seine Energie zu verschwenden, worüber z.B. Tristan und Lancelot
ein ganzes Buch schreiben könnten. Die Heilsversprechen der
Religionen dagegen waren geschickterweise nie empirisch
überprüfbar und dauern so bis heute an.
Das erklärt den angeführten doppelten Standard bezüglich
der Unsterblichkeit in geistiger und weltlicher Wahrnehmung. Doch ist
dieser Widerspruch noch angebracht? Transhumanisten vertreten die
Ansicht, dass es an der Zeit ist, neue Wege zu gehen. Denn während
sich religiöse Gewissheit vor dem forschenden Auge immer weiter
aus unserem Alltag in die nie empirisch überprüfbaren Winkel
der geistigen Vorstellung zurückgezogen hat, haben Wissenschaft
und Technik ihren Platz als Erfüller menschlicher Wünsche
übernommen. Und ihre Erfolge sind unbestreitbar -- das fängt
bei Penicillin an und hört bei Viagra nicht auf. Transhumanisten
sind überzeugt, dass es Zeit ist, den Wunsch nach Unsterblichkeit
nicht mehr zu verdrängen, sondern aktiv an seiner Verwirklichung
in dieser Welt mitzuarbeiten, durch naturwissenschaftliches
Verständnis und technischen Erfindergeist. Keine Erkenntnis aus
der Naturwissenschaft scheint prinzipiell einem solchen Vorhaben zu
widersprechen. Nur das nötige Wissen, so die Argumentation, muss
in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten noch entwickelt
werden.
Dabei könnte schon die nahe Zukunft die Möglichkeit einer
entscheidenden Verlängerung der Lebensspanne eröffnen. Durch
die Gentechnik und ein tieferes Verständnis biochemischer Prozesse
könnten in wenigen Jahrzehnten die meisten Krankheiten geheilt und
viele Schäden beseitigt werden. Die Lebenserwartung dürfte
auf etwa 100 bis 120 Jahre steigen. Diese "Therapeutische Phase" stellt
aber nur einen Übergangszustand dar. In der nächsten Phase,
die man als "Präventiv-Phase" bezeichnen könnte, könnte
die Lebenserwartung auf vielleicht 150 Jahre ansteigen. Dies würde
erreicht, indem man schon bei der Zeugung präventive,
gentechnische Maßnahmen durchführt, so dass sich Krankheiten
gar nicht erst entwickeln können. In der "Designer-Phase"
schließlich wird dann die Beschränkung auf lediglich
korrigierende Maßnahmen aufgegeben. Der menschliche Körper
wird gezielt verbessert, Eltern achten bewusst darauf, dass ihre Kinder
mit dem besten genetischen Material ausgestattet werden, das
erhältlich ist. Hierdurch ließe sich eine Verlängerung
der Lebensspanne auf vielleicht 500 Jahre erreichen. Es ist
überflüssig zu erwähnen, dass die "Präventiv-Phase"
und erst recht die "Designer-Phase" auf vehemente Ablehnung, zumal hier
in Deutschland, stoßen werden.
Aber was ist mit denen, für die das alles zu spät kommt? Was
sollen diejenigen Menschen machen, die diese Veränderungen nicht
mehr erleben werden? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Sie
werden für die Zwischenzeit auf Eis gelegt. Das ist sogar noch
untertrieben. Schließlich hat flüssiger Stickstoff eine
Temperatur von -196°C, was noch ein ganzes Stück unter dem
Gefrierpunkt von Wasser liegt. Die Idee heißt Kryonik und geht
auf die Beobachtung zurück, dass viele primitive Lebewesen bei
kalten Temperaturen erstarren, nur um bei anschließender
Erwärmung (die teilweise erst Jahre nach dem Einfrieren
stattfinden kann) dort weiterzumachen, wo sie vorher aufgehört
haben. Ihr Leben ist effektiv um diese Spanne der Nichtaktivität
verlängert worden. Weil der Mensch aber Warmblütler ist und
auch sonst etwas komplizierter aufgebaut als irgendwelche
Flachwürmer, ist es leider so, dass der Vorgang -- trotz
ausgiebigem Einsatz von Mitteln, die etwa den Schaden durch
Eiskristalle bei Gefrieren des intrazellulären Wassers -- mit
jetzigen Mitteln nicht rückgängig zu machen ist. Aber
wofür gibt es die Hoffnung auf die Entwicklungen der Zukunft? Der
beim Einfrieren entstehende Schaden hält sich immerhin so weit in
Grenzen, dass die Rekonstruktion mit fortgeschrittenen Methoden
möglich scheint. Man bräuchte allerdings eine Technik, die
die Manipulation von Materie auf der Ebene einzelner Atome und
Moleküle erlaubt.
Zum Glück gibt es so eine Technik schon seit Milliarden von
Jahren. Jede der Zellen in unserem Körper beweist ihre
Realisierbarkeit in jeder Sekunde millionenfach. Denn was anderes sind
Enzyme als kleine Roboter, die genau diese Art von Manipulation auf
atomarer Ebene leisten? Gerade weil dieses Verfahren in der Natur so
oft erprobt ist, knüpfen sich große Hoffnungen daran, diese
Technik auch durch den Menschen nutzbar zu machen. Das Ganze
heißt dann Nanotechnologie und ist selbst unserer sonst
technologisch nicht gerade fortschrittswütigen Bundesregierung in
den nächsten 5 Jahren 100 Millionen Mark wert. Es erscheint
immerhin möglich, dass so eine Technik in der Lage wäre, die
gefrorenen Körper wieder zu aktivieren. Allerdings sollte
erwähnt werden, dass es sich oft gar nicht mehr um ganze
Körper handelt. Die meisten Kryoniker entscheiden sich
nämlich für die preisgünstige "heads-only" Variante
(etwa $40,000 statt $100,000). Dabei wird nur der Kopf eingefroren, der
Rest des Körpers wird normal beerdigt. Schließlich kommt es
den Reaktivierten-in-spe ja auf ihr Bewusstsein und ihre
Persönlichkeit, genauer: auf die in ihren Gehirnen enthaltene
Information an, und nicht darauf, die Details der physischen
Realisierung ihres Verdauungstraktes in ihr neues Leben zu retten. Sie
sind überzeugt, dass es für eine Technologie, die die bei
ihrem Einfrieren entstandenen Schäden rückgängig machen
kann, ein Leichtes sein wird, ihnen auch einen neuen Körper
wachsen zu lassen.
Andererseits, wenn es ohnehin nur auf die im Gehirn gespeicherte
Information ankommt... wieso sollte man sich überhaupt noch einmal
die Unwägbarkeiten einer physischen Existenz unterwerfen? Man
könnte doch etwa die im Gehirn in Form der synaptischen
Stärken, der verwendeten Neurotransmitter etc. gespeicherte
Information mit Hilfe der Nanotechnologie direkt auslesen und dann auf
einen Computer übertragen, der dann den Teil übernimmt, der
bis jetzt der physikalischen Wirklichkeit überlassen blieb. Der
Computer könnte einfach alle physiologischen Prozesse des Gehirns
emulieren, und das Bewusstsein würde, losgelöst von allen
Beschränkungen der physischen Existenz, zu neuem Leben erweckt.
Dieses Konzept ist unter dem Namen "Uploading" bekannt und wurde zuerst
von dem Robotiker Hans Moravec ausführlich dargestellt. Damit aber
die so reanimierte Person nicht einsam und isoliert im Inneren eines
Computers schmachtet, würde man sie natürlich durch so
genannte "telepresence robots", eine Art ferngesteuerter Cyborg, mit
der Wirklichkeit verbinden. Damit hätte sie die selben
Möglichkeiten, als besäßen sie einen realen
Körper, aber mit einem unbestreitbaren Vorteil: Der "telepresence
robot" könnte zerstört werden, und es würde der Person
nichts ausmachen, solange nur der Computer, auf dem sie läuft, in
sicherer Entfernung aufbewahrt wird. Aber auch wenn diesem trotz aller
Vorsichtsmaßnahmen doch etwas geschieht, hat der kluge Upload
vorgebaut: Er hat Sicherheitskopien seiner selbst im ganzen
Sonnensystem -- oder gar in der Milchstraße -- verteilt
(denn er ist ja nur Software, und die lässt sich im Gegensatz zur
Hardware ohne weiteres vervielfältigen, wie ja auch die
Software-herstellende Industrie dauernd beklagt). Erst dann ist er
wirklich gegen so ziemlich alle Katastrophen abgesichert. Und erst dann
würde ein Transhumanist von wahrer Unsterblichkeit reden.
Die Deutsche Gesellschaft für Transhumanismus ist unter
www.transhumanismus.de zu erreichen. Dort findet sich auch ein Link zur
Bonner Gruppe, der die beiden Autoren angehören.