Transhumanismus und der Traum von Unsterblichkeit


Von Torsten Nahm und Stefan Ernstberger

[Dieser Text wurde ursprünglich 1999 in der Akut, dem Bonner Uni-Magazin, veröffentlich]
 
Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit ist so alt wie die menschliche Überlieferung selbst. Schon das Gilgamesch-Epos, die älteste Dichtung der Menschheit, erzählt, wie der sumerische König Gilgamesch in tiefer Trauer über den Tod seines besten Freundes auszieht, um ein Kraut zu suchen, dessen Verzehr die Unsterblichkeit verleiht. Die Vorstellung einer unsterblichen Seele zieht sich durch alle großen Religionen der Welt, ob nun Himmel und Hölle im Christentum oder die Reinkarnation im Hinduismus. Aber wer sich dazu hinreißen lässt, von der Unsterblichkeit in dieser Welt zu träumen, wird kaum mit weniger Spott überschüttet, als wenn er behauptete, er sei von einem Ufo entführt worden.
Das führt uns zu einem merkwürdigen Widerspruch: Während ewiges Leben als Versprechen einer Religion vollkommen akzeptabel ist, gilt der Wunsch nach Unsterblichkeit in dieser Welt als kindisch und vermessen. Ohne einen großen psychologischen Anspruch erheben zu wollen: Es scheint uns, dass es sich hierbei um eine typische Verdrängungsreaktion handelt, nach dem Motto: was du sowieso nicht kriegen kannst, das begehre erst gar nicht (das ist zumindest gut für die psychische Stabilität). Historisch gesehen war das nicht immer so, und viele reiche Männer haben ganze Vermögen an Quacksalber verloren, deren impotente Wundermittel höchstens auf dem Papier das Leben verlängerten. Und so dient diese Verdrängung, das gesellschaftliche Tabu, das den Wunsch nach irdischer Unsterblichkeit umgibt, wohl vor allem als Schutz davor, seine Energie zu verschwenden, worüber z.B. Tristan und Lancelot ein ganzes Buch schreiben könnten. Die Heilsversprechen der Religionen dagegen waren geschickterweise nie empirisch überprüfbar und dauern so bis heute an.
Das erklärt den angeführten doppelten Standard bezüglich der Unsterblichkeit in geistiger und weltlicher Wahrnehmung. Doch ist dieser Widerspruch noch angebracht? Transhumanisten vertreten die Ansicht, dass es an der Zeit ist, neue Wege zu gehen. Denn während sich religiöse Gewissheit vor dem forschenden Auge immer weiter aus unserem Alltag in die nie empirisch überprüfbaren Winkel der geistigen Vorstellung zurückgezogen hat, haben Wissenschaft und Technik ihren Platz als Erfüller menschlicher Wünsche übernommen. Und ihre Erfolge sind unbestreitbar -- das fängt bei Penicillin an und hört bei Viagra nicht auf. Transhumanisten sind überzeugt, dass es Zeit ist, den Wunsch nach Unsterblichkeit nicht mehr zu verdrängen, sondern aktiv an seiner Verwirklichung in dieser Welt mitzuarbeiten, durch naturwissenschaftliches Verständnis und technischen Erfindergeist. Keine Erkenntnis aus der Naturwissenschaft scheint prinzipiell einem solchen Vorhaben zu widersprechen. Nur das nötige Wissen, so die Argumentation, muss in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten noch entwickelt werden.
Dabei könnte schon die nahe Zukunft die Möglichkeit einer entscheidenden Verlängerung der Lebensspanne eröffnen. Durch die Gentechnik und ein tieferes Verständnis biochemischer Prozesse könnten in wenigen Jahrzehnten die meisten Krankheiten geheilt und viele Schäden beseitigt werden. Die Lebenserwartung dürfte auf etwa 100 bis 120 Jahre steigen. Diese "Therapeutische Phase" stellt aber nur einen Übergangszustand dar. In der nächsten Phase, die man als "Präventiv-Phase" bezeichnen könnte, könnte die Lebenserwartung auf vielleicht 150 Jahre ansteigen. Dies würde erreicht, indem man schon bei der Zeugung präventive, gentechnische Maßnahmen durchführt, so dass sich Krankheiten gar nicht erst entwickeln können. In der "Designer-Phase" schließlich wird dann die Beschränkung auf lediglich korrigierende Maßnahmen aufgegeben. Der menschliche Körper wird gezielt verbessert, Eltern achten bewusst darauf, dass ihre Kinder mit dem besten genetischen Material ausgestattet werden, das erhältlich ist. Hierdurch ließe sich eine Verlängerung der Lebensspanne auf vielleicht 500 Jahre erreichen. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass die "Präventiv-Phase" und erst recht die "Designer-Phase" auf vehemente Ablehnung, zumal hier in Deutschland, stoßen werden.
Aber was ist mit denen, für die das alles zu spät kommt? Was sollen diejenigen Menschen machen, die diese Veränderungen nicht mehr erleben werden? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Sie werden für die Zwischenzeit auf Eis gelegt. Das ist sogar noch untertrieben. Schließlich hat flüssiger Stickstoff eine Temperatur von -196°C, was noch ein ganzes Stück unter dem Gefrierpunkt von Wasser liegt. Die Idee heißt Kryonik und geht auf die Beobachtung zurück, dass viele primitive Lebewesen bei kalten Temperaturen erstarren, nur um bei anschließender Erwärmung (die teilweise erst Jahre nach dem Einfrieren stattfinden kann) dort weiterzumachen, wo sie vorher aufgehört haben. Ihr Leben ist effektiv um diese Spanne der Nichtaktivität verlängert worden. Weil der Mensch aber Warmblütler ist und auch sonst etwas komplizierter aufgebaut als irgendwelche Flachwürmer, ist es leider so, dass der Vorgang -- trotz ausgiebigem Einsatz von Mitteln, die etwa den Schaden durch Eiskristalle bei Gefrieren des intrazellulären Wassers -- mit jetzigen Mitteln nicht rückgängig zu machen ist. Aber wofür gibt es die Hoffnung auf die Entwicklungen der Zukunft? Der beim Einfrieren entstehende Schaden hält sich immerhin so weit in Grenzen, dass die Rekonstruktion mit fortgeschrittenen Methoden möglich scheint. Man bräuchte allerdings eine Technik, die die Manipulation von Materie auf der Ebene einzelner Atome und Moleküle erlaubt.
Zum Glück gibt es so eine Technik schon seit Milliarden von Jahren. Jede der Zellen in unserem Körper beweist ihre Realisierbarkeit in jeder Sekunde millionenfach. Denn was anderes sind Enzyme als kleine Roboter, die genau diese Art von Manipulation auf atomarer Ebene leisten? Gerade weil dieses Verfahren in der Natur so oft erprobt ist, knüpfen sich große Hoffnungen daran, diese Technik auch durch den Menschen nutzbar zu machen. Das Ganze heißt dann Nanotechnologie und ist selbst unserer sonst technologisch nicht gerade fortschrittswütigen Bundesregierung in den nächsten 5 Jahren 100 Millionen Mark wert. Es erscheint immerhin möglich, dass so eine Technik in der Lage wäre, die gefrorenen Körper wieder zu aktivieren. Allerdings sollte erwähnt werden, dass es sich oft gar nicht mehr um ganze Körper handelt. Die meisten Kryoniker entscheiden sich nämlich für die preisgünstige "heads-only" Variante (etwa $40,000 statt $100,000). Dabei wird nur der Kopf eingefroren, der Rest des Körpers wird normal beerdigt. Schließlich kommt es den Reaktivierten-in-spe ja auf ihr Bewusstsein und ihre Persönlichkeit, genauer: auf die in ihren Gehirnen enthaltene Information an, und nicht darauf, die Details der physischen Realisierung ihres Verdauungstraktes in ihr neues Leben zu retten. Sie sind überzeugt, dass es für eine Technologie, die die bei ihrem Einfrieren entstandenen Schäden rückgängig machen kann, ein Leichtes sein wird, ihnen auch einen neuen Körper wachsen zu lassen.
Andererseits, wenn es ohnehin nur auf die im Gehirn gespeicherte Information ankommt... wieso sollte man sich überhaupt noch einmal die Unwägbarkeiten einer physischen Existenz unterwerfen? Man könnte doch etwa die im Gehirn in Form der synaptischen Stärken, der verwendeten Neurotransmitter etc. gespeicherte Information mit Hilfe der Nanotechnologie direkt auslesen und dann auf einen Computer übertragen, der dann den Teil übernimmt, der bis jetzt der physikalischen Wirklichkeit überlassen blieb. Der Computer könnte einfach alle physiologischen Prozesse des Gehirns emulieren, und das Bewusstsein würde, losgelöst von allen Beschränkungen der physischen Existenz, zu neuem Leben erweckt. Dieses Konzept ist unter dem Namen "Uploading" bekannt und wurde zuerst von dem Robotiker Hans Moravec ausführlich dargestellt. Damit aber die so reanimierte Person nicht einsam und isoliert im Inneren eines Computers schmachtet, würde man sie natürlich durch so genannte "telepresence robots", eine Art ferngesteuerter Cyborg, mit der Wirklichkeit verbinden. Damit hätte sie die selben Möglichkeiten, als besäßen sie einen realen Körper, aber mit einem unbestreitbaren Vorteil: Der "telepresence robot" könnte zerstört werden, und es würde der Person nichts ausmachen, solange nur der Computer, auf dem sie läuft, in sicherer Entfernung aufbewahrt wird. Aber auch wenn diesem trotz aller Vorsichtsmaßnahmen doch etwas geschieht, hat der kluge Upload vorgebaut: Er hat Sicherheitskopien seiner selbst im ganzen Sonnensystem -- oder gar in der Milchstraße -- verteilt  (denn er ist ja nur Software, und die lässt sich im Gegensatz zur Hardware ohne weiteres vervielfältigen, wie ja auch die Software-herstellende Industrie dauernd beklagt). Erst dann ist er wirklich gegen so ziemlich alle Katastrophen abgesichert. Und erst dann würde ein Transhumanist von wahrer Unsterblichkeit reden.
Die Deutsche Gesellschaft für Transhumanismus ist unter www.transhumanismus.de zu erreichen. Dort findet sich auch ein Link zur Bonner Gruppe, der die beiden Autoren angehören.